You are currently viewing Hyperschallwaffen: Die nukleare Abschreckung wird obsolet

Hyperschallwaffen: Die nukleare Abschreckung wird obsolet

Hyperschallwaffen, die die Geschwindigkeit ballistischer Flugkörper mit einer hohen Manövrierfähigkeit kombinieren, werden in den nächsten fünf Jahren zum wichtigsten Bestandteil der strategischen Arsenale von China, Russland und den USA.[1] Hyperschallwaffen zeichnen sich nicht nur durch hohe Geschwindigkeiten aus – auch ballistische Flugkörper fliegen mit Mach 17 bis 20 – sondern vor allem durch das Gleiten bestimmter Flugkörper in der oberen Atmosphäre und durch eine hohe Manöverfähigkeit aus. Während die Flugbahnen ballistischer Flugkörper nach der Erfassung berechnet werden können, ist dies bei Hyperschallwaffen nicht möglich. Hyperschallwaffen weisen im Vergleich zu ballistischen Flugkörpern eine geringere maximale Flughöhe auf. Ballistische Flugkörper fliegen bis in den Weltraum und können bereits auf einer Reichweite von 3’000 bis 4’000 km erfasst werden. Da Hyperschallwaffen lediglich 30 bis 50 km über Meereshöhe fliegen, können sie erst kurz vor ihrem Einschlag erfasst werden.[2] Es existieren zwei Arten von Hyperschallwaffen. Die erste Art sind Gleitflugkörper, die mit einem zweistufigen ballistischen Flugkörper ihre Flughöhe erreichen. Die zweite Art sind Marschflugkörper, die dank einem Staustrahltriebwerk mit Hyperschall fliegen.

China dürfte durch die Absolventen in Flugwissenschaft der chinesischen Hochschulen über das umfassendste Forschungsprogramm über Hyperschallwaffen verfügen. Laufend erscheinen Publikationen über Tests von Hyperschallwaffen. Gemäss amerikanischen Schätzungen dürfte China für Hyperschallwaffen pro Jahr mehr ausgeben als Russland und die USA. Die chinesische Hyperschallwaffe DF-17 wird in diesem Jahr einsatzbereit werden und könnte mit einer Reichweite von 2’000 km die Verdrängung der US Navy aus dem westlichen Pazifik ermöglichen.[3]

Das russische Forschungsprogramm hat in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts eingesetzt. Es war als Antwort auf die Strategic Defense Initiative von US-Präsident Ronald Reagan konzipiert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Programm eingestellt. Nach der Sistierung des Vertrages über das Verbot der Flugkörperabwehr (Anti-Ballistic Missile(s), ABM) von 1972 durch die USA im Juni 2002 wurde es wieder reaktiviert.[4] Mit der russischen Hyperschallwaffe Avangard – von der NATO als SS-19 Stiletto Mod 4 bezeichnet – werden die Wiedereintrittskörper der interkontinentalen ballistischen Flugkörper (ICBM) SS-19 durch Gleitflugkörper, die entweder mit konventionellen oder nuklearen Gefechtskörper ausgerüstet würden, ersetzt. Nach einer ballistischen Flugbahn trennt sich der Gleitflugkörper von der ICBM und gleitet mit Mach 5 (1.72 km pro Sekunde) in der Atmosphäre zum Ziel. Avantgard könnte sogar eine Durchschnittsgeschwindigkeit von Mach 10 (3.43 km/Sekunde) erreichen.

Als weitere Hyperschallwaffe entwickelt Russland den Marschflugkörper 3M22 Zircon (SS-N-33).[5] Mit dem Staustrahltriebwerk könnte Zircon eine Geschwindigkeit von Mach 8 erreichen. Ein weiteres Projekt ist der nuklearangetriebene Marschflugkörper Burevestnik (SSC-X-9 Skyfall), der für globale Einsätze vorgesehen ist. Der nuklearangetriebene Torpedo Poseidon/Status-6 (Kanyon) soll mit einem nuklearen Gefechtskopf versehen werden. Der Torpedo soll in der Küstennähe eines feindlichen Staates den Gefechtskopf zünden, einen riesigen Tsunami auslösen und damit ganze Städte auslöschen. Diese Waffe ist für die Vergeltung nach dem Beginn eines Nuklearkrieges vorgesehen.[6]

Die USA forschen seit Jahren an Hyperschallwaffen und setzten pro Jahr ein bis zwei Milliarden Dollar dafür ein. Washington verfolgt verschiedene Projekte, die sich auch in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Keines dieser Projekte wird aber vor 2023 zu einsatzbereiten Systemen führen. Die US Army und die US Navy entwickeln zusammen den Hyperschall-Gleitflugkörper (Hypersonic Glide Body, C-HGB). Die Army will diesen als weitreichende Hyperschallwaffe einsetzen. Die Navy sieht den konventionellen Prompt Strike vor. Die US Air Force entwickelt ein luftgestütztes System (Air-Launched Rapid Response Weapon, ARRW).[7]

Die Hyperschallwaffen – Gleit- und Marschflugkörper – können wie die ballistischen Flugkörper mit konventionellen und/oder nuklearen Gefechtsköpfen ausgerüstet werden. Bereits diese Zweideutigkeit könnte die strategische Abschreckung destabilisieren. Die Destabilisierung wird aber durch die Geschwindigkeit und die Manövrierfähigkeit der Hyperschallwaffen noch erhöht. Durch die bereits erwähnte kurze Erfassungszeit wird das Zeitfenster für eine Reaktion, und damit der Vergeltung erheblich verkürzt. Dies könnte, kombiniert mit der Zweideutigkeit der Ausrüstung mit konventionellen oder nuklearen Gefechtsköpfen, zu einer Strategie der launch-on-warning führen und damit die bisherige Strategie der gegenseitig sichergestellten Vernichtung (Mutual Assured Destruction, MAD) beseitigen.[8]

Während die USA verkündet haben, dass sie ihre Hyperschallwaffen nur mit konventionellen Gefechtsköpfen ausrüsten werden, will Russland die Avantgard für nukleare Einsätze verwenden. China hat sich zur Ausrüstung der DF-17 nicht geäussert. Mit den DF-17 könnte China beinahe alle Ziele in Japan innert 12 Minuten oder den Stützpunkt Guam der USA innert 15 Minuten vernichten. Da die Gleitflugkörper in der Atmosphäre fliegen, wird die Reaktionszeit Japans und der USA auf wenige Minuten reduziert.[9]

Nicht nur die MAD-Strategie könnte obsolet werden, sondern alle bis anhin zwischen den USA und Russland (früher die Sowjetunion) abgeschlossenen Abrüstungsverträge würden reine Makulatur werden. Ein erster Schritt dazu war 2019 die Sistierung des Abrüstungsvertrags INF von 1987 über die nuklearen Mittelstreckenwaffen. Das Tor zur Proliferation dürfte immer grösser werden.[10]

[1] Fraioli, P., Hypersonic weapons and strategic stability, Strategic Comment, The International Institute For Strategic Studies, March, 2020, P. 1.

[2] Fraioli, P., P. 2.

[3] Fraioli, P., P. 4.

[4] Fraioli, P., P. 3.

[5] Fraioli, P., P. 4.

[6] Fraioli, P., P. 4.

[7] Fraioli, P., P. 4.

[8] Fraioli, P., P. 6/7.

[9] Fraioli, P., P. 6.

[10] Fraioli. P., P. 7.