Die Population der beiden Amerikas vor der Ankunft von Kolumbus, 1492, wird heute durch Experten auf 90 bis 112 Millionen Menschen geschätzt. In den beiden Amerikas lebten demzufolge mehr Menschen als im damaligen Europa. Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts dürften 80 bis 100 Millionen Menschen gestorben sein. Die Bevölkerung der Ureinwohner wurde dadurch um 90% reduziert.[1] Dieser Prozess dürfte die grösste Vernichtung von Leben gewesen sein, die die Menschheitsgeschichte bis anhin erfahren hat. Als Folge der durch die Spanier eingeschleppten Krankheiten, gegen die die Immunsysteme der eingeborenen Bevölkerungen keinen Widerstand leisten konnten, wurden ganze Regionen entvölkert. Zu diesen Krankheiten gehörten Typhus, Grippeviren, Pocken, Diphterie, Masern sowie die Pest.[2] Sowohl das Reich der Azteken wie auch jenes der Inkas wurden durch diese Krankheiten so geschwächt, dass sie dem Ansturm der spanischen Konquistadoren keinen organisierten Widerstand mehr leisten konnten.
1491 dürfte Zentralmexiko mit 25.2 Millionen Menschen die am dichtesten bevölkerte Region der Welt gewesen sein. Die Bevölkerungen von Spanien und Portugal betrugen damals zusammengerechnet nicht mehr als 10 Millionen Menschen.[3] Als Folge der verschiedenen Epidemien wurde die Bevölkerung des mexikanischen Plateau bis 1623 auf 700’000 Menschen vernichtet.[4] In diesem Zeitraum wurden durch verschiedene wellenartigen Epidemien, wie Pocken, Masern und Grippe, ganze Regionen ausgelöscht. Bei seinem Angriff auf das Aztekenreich traf Cortez auf eine geschwächte Bevölkerung. Als am 21. August 1521 die aztekische Hauptstadt Teotihuacan gegenüber den Spaniern und ihren indianischen Alliierten kapitulierte, war bereits ein Drittel der Bevölkerung durch die Pocken gestorben.[5] Nach der Kapitulation wüteten die Spanier weiter unter der wehrlosen Bevölkerung und massakrierten ungehindert Unschuldige.
Nach der Zerstörung von Teotihuacan wurden die Schriften der Azteken und später auch jene der Mayas unter Leitung katholischer Bischöfe verbrannt. Die Kulturen der Azteken und der Mayas wurden dadurch gezielt ausgelöscht. Die Vernichtung der Hochkulturen Mexikos war das Ergebnis der Epidemien, des Mordens der Konquistadoren und der Rücksichtslosigkeit des katholischen Klerus. Für die Spanier war das Sterben der Azteken aufgrund der Epidemien der Wille Gottes.[6] Die Christianisierung Mexikos beschleunigte das Töten.
Mexiko
Noch schlimmer erging es der Bevölkerung des Inkareichs. Bereits vor dem Ansturm von Pizarro und seiner Horde von Verbrechern war das Inkareich, das damals grösste Reich der Welt, als Folge der eingeschleppten Epidemien und des Bürgerkrieges nicht mehr fähig, den Spaniern wirksam Widerstand zu leisten. Vor und auch nach der Eroberung durch die Spanier wüteten im Inkareich immer wieder Pockenepidemien, so 1533, 1535, 1558 und 1565. Die Spanier kamen und die eingeborene Bevölkerung starb.[7]
Mit seinen 168 Verbrechern und 62 Pferden täuschte Pizarro dem Inkaherrscher Atawallpa friedliche Absichten vor, lockte ihn in einen Hinterhalt in der Stadt Cajamarca und massakrierte mit Geschützen die Leibgarde des Herrschers.[8] Nach seiner Gefangenahme durch die Spanier wurde der Herrscher zur Lieferung von Gold und Edelsteinen durch seine Untertannen gezwungen. Vom Dezember 1532 bis Mai 1533 lieferten die Inkas ständig Karawanen mit Edelsteinen und Kunstwerken nach Cajamarca ab.[9] Pizarro liess die Skulpturen aus Gold einschmelzen und das Gold nach Spanien liefern. Nach der Erfüllung seines Versprechens wurde der Herrscher durch die Spanier erdrosselt. Anschliessend marschierten die Spanier in die Inkahauptstadt Qosqo ein. Die Inkas führten mit den Spaniern noch weitere 40 Jahre Krieg.[10]
Khipu (Knotenschrift) der Inkas
Mit dem Eindringen der Engländer, Franzosen, Holländer und Spanier nach Nordamerika zu Beginn des 17. Jahrhundert wurden die Algonkin-Reiche der amerikanischen Ostküste durch Pockenepidemien vernichtet und die Überlebenden in die Sklaverei gezwungen. Ganze Stämme, die während Jahrhunderten über den Osten Nordamerikas geherrscht hatten, verschwanden für immer. Zu diesen gehörte auch das Reich der Narragansett, die zwar von der Pockenepidemie von 1616 verschont wurden, durch jene von 1633 aber ausgelöscht wurden.
Ein Drittel bis zur Hälfte der Indianer Neuenglands starb an den europäischen Krankheiten. Die Pilgerväter waren darüber sehr erfreut. Durch die Vernichtung der Eingeborenen wurde das Land menschenleer und für die Besiedlung frei. Ihr Gott hatte den Pilgervätern das menschenleere Land geschenkt.[11] Jetzt mussten sie nur noch die Dörfer der überlebenden Eingeboren auslöschen und deren Bewohner massakrieren.[12]
Die Kultur der grossen Ebenen
Die Ausrottung der Ureinwohner war aber noch nicht beendet. Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden immer wieder die Stämme der grossen Ebenen durch Pocken- und Choleraepidemien dezimiert.
Zu diesen Stämmen der grossen Ebenen gehörten die Mandan, die als Ackerbauern eine bedeutende Kultur aufwiesen. Sie nannten sich Numahkahke (Menschen). Ihre Dörfer waren am oberen Missouri des heutigen Nord-Dakota.[13] Der Schweizer Maler Karl Bodmer besuchte mit dem Prinzen Maximilian zu Wied mehrmals ihre Dörfer. 1750 existierten neun grosse Mandan-Dörfer. Nach den Pockenepidemien existierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur noch zwei Dörfer mit 1’600 Menschen. 1837 wütete wieder eine Pockenepidemie und das Volk der Mandan wurde bis auf 100 Menschen beinahe ausgerottet.[14]
Die Ureinwohner der beiden Amerikas und die Reiche und Hochkulturen der Azteken und Inkas wurden nicht durch die Waffentechnik der Europäer besiegt, sondern durch die aus Europa eingeschleppten Krankheiten dezimiert.[15]
[1] Mann, Ch. C., 1491, New Revelations of the Americas before Columbus, Vintage Books, New York, 2013, P. 108.
[2] Mann, Ch. C., P. 105.
[3] Mann, Ch. C., P. 107.
[4] Mann, Ch. C., P. 147.
[5] Mann, Chr. C., P. 146.
[6] Mann, Ch. C., P. 149.
[7] Mann, Ch. C., P. 72.
[8] Mann, Ch. C., P. 91.
[9] Mann, Ch. C., P. 93.
[10] Mann, Ch. C. P. 93.
[11] Mann, Ch. C., P. 70.
[12] Mann, Ch. C., P. 67ff.
[13] Mauer, K., Das neue Indianer Lexikon, Die Macht und Grösse der Indianer bis zu ihrem Untergang, Langen Müller, München, 1994, S. 196.
[14] Mauer, K., S. 197.
[15] Mann, Ch. C., P. 70.