You are currently viewing Wikinger: Piraten, Sklavenhändler, Kolonisatoren und ihr Erbe

Wikinger: Piraten, Sklavenhändler, Kolonisatoren und ihr Erbe

Die Wikingerzeit

Die Bezeichnung Wikinger, die Seeräuber und Piraten, die im Mittelalter aus Dänemark, Norwegen und auch aus Schweden stammten, ist bis auf den heutigen Tag nicht eindeutig definiert worden. So könnte «vikingr» aus dem Wort «viken» (Bucht) abgeleitet worden sein, mit dem der Oslofjord in Norwegen bezeichnet wurde und aus dem das Piratentum stammen könnte.[1] Ein anderes Wort aus den nordischen Sprachen ist «vig», der Kampf. Dies würde der Kampfeslust der Wikinger entsprechen.[2] Mit «viking» wird auch ein Seekrieger bezeichnet, der seine Räubereinen in der Welt betreibt.[3] Auf Wikingerfahrten führten diese Seekrieger aus Skandinavien ihre Raubzüge, aber auch ihren Handel aus.[4]

Der Überfall von 793 auf das angelsächsische Kloster Lindisfarne und der Totschlag der Mönche wird als der Beginn der Wikingerzeit bezeichnet.[5] Nach dieser Mordaktion folgten in den folgenden Jahrhunderten Überfälle, Raubzüge, Entführungen in einer nicht endenden Zahl.

Während alle Experten sich über den Beginn der Wikingerzeit einig sind, ist dies für das Ende nicht der Fall. Für einzelne Experten bedeutet die Konsolidierung der nordischen Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden im 12. Jahrhundert das Ende der Epoche der Wikinger. Andere Experten sehen in der dänischen Abtretung der Orkney– und Shetland-Inseln an Schottland das Ende der Wikingerzeit.[6] Für wieder andere Experten wurde mit den Angriffen von Slawen auf Wikinger-Stützpunkte das Zeitalter der nordischen Piraten beendet.[7] Wer auch immer recht hat, die Epoche der Wikinger war ein blutiges Zeitalter voller Kriege, Eroberungen und Morden. Es war aber auch eine Epoche von Höhepunkten des internationalen Handels und der Kolonisation schwieriger Gebiete wie Grönland.

Die Ursachen für die meeresumspannenden Räubereien der Anführer und Krieger der Wikinger dürften vermutlich die Überbevölkerungen der heimatlichen Gebiete sowie die Gier nach dem Reichtum der damals entwickelten Welt sein. Geführt wurden die Wikinger bei ihren Raubzügen durch ein religiöses Bewusstsein, das eine sehr komplexe Götterwelt aufwies. Die Führung dieser Götterwelt hatte der einäugige Odin inne, eine sehr zwiespältige Figur: oberster Gott, Kriegsgott, Zauberer, Verführer von schönen Göttinnen und Halbgöttinnen und rachesüchtiger Gott. Seine zwei Raben dienten ihm als Spione und Kundschafter über die Welt, die Menschen und die feindlichen Riesen. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war die Vorbereitung des Endkrieges zwischen den Göttern und den Riesen. Dazu liess er gefallene Helden durch seine Walküren(Frauen-Leibgarde) nach Walhalla bringen. Dort wurden diese nicht nur reichlich mit Met und Orgien gleichenden Mahlzeiten versorgt, sondern sie mussten durch Waffenübungen ständig im Schuss gehalten werden. Diese Waffenübungen dienten den Vorbereitungen auf den Krieg mit den Riesen. Odin war auch der Sachkundige der magischen Runen.

Neben Odin residierte in der Götterwelt Thor, der Hammer. Ein gutmütiger Gott, der mit seinem Hammer fähig war, die Feinde der Götter zu erschlagen. Diese Götterwelt war nicht eine geschlossene homogene Gesellschaft, sondern wurde durch Lug, Trug und Intrigen beherrscht.

Schrittweise erfolgte die Christianisierung der Wikinger und ihrer Reiche. Im 10. Jahrhundert waren es zuerst die Dänen, dann an der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert die Norweger und am Ende, im 12./13. Jahrhundert die Schweden, die Odin und Thor abschworen und sich dem Christentum zuwandten. Sehr lange blieb aber das Christentum nur ein Firnis über die alte nordgermanische Götterwelt. Über die alten Tempel wurden die Stabskirchen errichtet, die bis auf den heutigen Tag teilweise mit magischen Runen verziert sind.

 

Stabkirche Borgund: das Christentum? (Laerdal 1180)

Schnelle Schiffe und Schlupfwinkel der Piraten  

Die Schiffe der Wikinger gelten heute noch als technische Wunderwerke[8].

Modell eines Wikingerschiffs (Laerdal)

Diese Kriegsschiffe hatten zu Beginn des 11. Jahrhunderts eine Länge von bis zu 37.3 Meter. Mit dem Segel wurde eine Geschwindigkeit von 15 Knoten erreicht. Mit 78 bis 80 Ruderern erreichte ein solches Kriegsschiff eine Geschwindigkeit von 4.5 Knoten. Für das Manövrieren oder die Landung wurde der Mast gelegt. Robust und leicht war ein solches Schiff für schnelle Fahrten oder/und für amphibische Überfalle vortrefflich konstruriert. Im 11. Jahhundert wurden in zunehmendem Masse auch Frachtschiffe und andere für bestimmte Aufgaben spzialisierte Schiffe entwickelt.

Drachenkopf des Achterstevens als metallene Windfahne (Laerdal)

Für die Vorbereitung ihrer Überfälle und als Rückzug nach einer erfolgreichen oder gescheiterten Operation verfügten die Wikinger über ausgezeichnete Schlupfwinkel. In den tiefen Fjord Norwegens waren die Schiffe der norwegischen Wikinger gut geschützt. Diese Eigenschaft könnte einer der Gründe sein, warum die Dänenhäuptlinge und -könige immer wieder Norwegen erobern und die norwegischen Jarls (Grafem) für gemeinsame Operationen zu Vasallen degradieren wollten.

Sognefjord

Waffen und Kriegführung

Für ihre Kriegszüge waren die Wikinger mit einem richtigen Arsenal an Waffen ausgerüstet. Die wichtigste Angriffswaffe war das zweischneidige Schwert, das durch Waffenschmiede aus dem fränkischen Rheinland hergestellt wurde. Dazu kamen Äxte und Keulen. Einfachere Krieger waren in Anbetracht der hohen Ausgaben für die Beschaffung von Schwertern vor allem mit Äxten ausgerüstet. Weitere Waffen waren Speere und Lanzen. Bogen und Pfeile waren die ideale Abstandswaffe.

Dem Schutz dienten die runden Schilder und Helme. Die Anführer waren auch noch durch Panzerhemden geschützt.[9]

Die wichtigste Operationsart der Kriegführung der Wikinger waren die amphibischen Überfälle auf lohnende Ziele. Alles, was wertvoll war, wurde erbeutet. Mönche und Männer wurden in der Regel niedergemacht. Frauen und Kinder für den Sklavenhandel entführt. Wurden die Piraten durch gegnerische Heere verfolgt, dann versuchten die Wikinger deren Vormarsch durch eine koordinierte Guerillakriegführung ihrer Landstreitkräfte und Kriegsschiffe aufzuhalten.[10]

Neben dieser Guerillataktik setzten die Wikinger für Eroberungen grössere Armeen ein.[11] Diese Armeen verfügten über Reiterformationen und Infanterie. Wie ein Keil wurde der Gegner angegriffen.[12] Bei einem Rückzug bildeten die Infanteristen mit ihren Speeren, wie später die Eidgenossen, ein Karree. Die Flanken des Karrees wurden durch die Kavallerie geschützt. Löste sich das Karree auf, dann waren die einzelnen Wikinger den gegnerischen Angriffen ausgesetzt, die sie niedermachten.

Seeschlachten bildeten eine Ausnahme in der Kriegführung der Wikinger. In der Regel wurden diese in der Nähe von Küsten ausgetragen. Die zahlenmässig unterlegene Flotte versuchte den Gegner durch ein Kastell aneinander geketteter Schiffe abzuwehren. Der Angreifer versuchte zuerst ein gegnerisches Schiff zu erobern. Nach dem Niedermachen der Besatzung durch Einzelkämpfer, den Berserker, die durch die Einnahme von Fliegenpilzen in Kampfeswut gerieten, wurde das nächste Schiff angegriffen und erobert.[13]

Eroberungen

Nachdem die ersten Plünderungen erfolgreich verliefen, führten grössere Wikingerheere aus Norwegen und Dänemark Feldzüge für territoriale Eroberungen in Irland, Schottland, England, den friesischen Inseln, dem Gebiet der heutigen Niederlande und der Normandie aus. Im Rahmen dieser Feldzüge eroberten Wikingerheere im 9. Jahrhundert mehrmals Paris.[14]

Bis Beginn des 11. Jahrhunderts wurde das östliche England, das sogenannte Danelag, durch dänische Wikinger beherrscht. Gleiches traf auch für die Herrschaft über Irland zu. Abwechselnd herrschten norwegische oder dänische Wikinger über die Insel. Man, die Hebriden, die Orkney– und die Shetland-Inselnwaren die Domäne der norwegischen Wikinger.

Die Normandie wurde wegen der Schwäche der karolingischen Könige sehr bald zu einem Herzogtum dänischer Wikinger. Abkömmlinge dieser Wikinger eroberten Süditalien und gründeten das Königreich Sizilien. 1066 eroberten die Normanen unter Herzog Wilhelm der Bastard England.

Händler

Die Wikinger waren aber nicht nur Krieger, sondern auch gewiefte Händler. Von Skandinavien aus betrieben sie Handelsverbindungen bis nach Konstantinopel, Bagdad und Damaskus. Gegen Silber, das aus den Minen des Kalifen in Samarkand, Taschkent und Afghanistan stammte, verkauften sie u.a. kostbare Pelze aus Skandinavien. Gleichzeitig konnten sie den arabischen Händlern ihre durch Überfälle erbeuteten Güter verscherbeln.

Sklavenhändler

Das wichtigste Gut, das die Wikinger für Silber an die Byzantiner und an die Araber des Kalifats verkauften, waren junge Frauen und Kinder, die sie durch ihre Beutezüge entführten. Dazu gehörten Angelsächsinnen, Irländerinnen, Friesinnen und Französinnen. Die jungen Frauen dienten der Auffrischung der byzantinischen und arabischen Harems.

Gleichzeitig unterwarfen sie die Völker der Finnen, Lappen und Slaven und beuteten diese durch die Eintreibung von Tributen (Pelze, Sklaven) gnadenlos aus.

Die Wikinger waren dank ihrer Eroberungen und Plünderungen des 8. bis zu Beginn des 11. Jahrhunderts die grössten Sklavenhändler der damaligen Zeit.[15] Dank diesem Sklavenhandel wurden die Herrscher und Krieger der Wikinger reich. Diesen Reichtum demonstrierten sie auch durch ihre Kleidungen und Gräber.

Kolonisatoren

Neben ihren Eroberungen waren die Wikinger auch Kolonisatoren. So gelten die schwedischen Waräger bzw. Rus-Wikinger als die Gründer des Reichs von Kiew. Ihre Spuren können heute nicht mehr nachgewiesen werden. Verschwunden sind auch ihre Nachkommen in Süditalien und in der Normandie.

Norwegische Wikinger kolonisierten insbesondere die Inseln im Nordatlantik, einschliesslich Grönland. Aufgrund von Erkenntnissen aus Ausgrabungen dürften sie vorübergehend Orte in Neufundland besiedelt haben. Während die Nachkommen der Wikinger heute noch die nordatlantischen Inseln, einschliesslich Island, bevölkern, ist ihre Kolonie auf Grönland spurlos verschwunden. Im 12. und 13. Jahrhundert existierte auf Grönland noch ein Bischofsitz. Infolge der kleinen Eiszeit nahm der Handel mit Island zusehends ab. Wegen des fehlenden Nachschubs dürfte die grönländische Kolonie degeneriert und ausgestorben sein.[16] Trotz des Verschwindens der grönländischen Kolonie dürfte heute noch der Nordaltantik die eigentliche Domäne der Nachkommen der Wikinger sein.

Der Nordatlantik 

Thor versus Christus?

Ein Erbe aus der Wikingerzeit könnte die noch in Skandinavien und auf den Inseln des Nordatlantiks herrschende Symbiose zwischen der alten Religion der Germanen mit Odin und Thor und dem Christentum sein.

Thor-Hammer oder Kreuz? (Laerdal)

 

[1] Staecker, J., und M. Toplak (Hrsg.), Die Wikinger, Entdecker und Eroberer, Propyläen, Berlin, 2019, S. 20.

[2] Pörtner, R., Die Wikinger-Saga, Econ Verlag GmbH, Düsseldorf und Wien, 3. Auflage, 1971, S. 16.

[3] Pörtner, R., S. 17.

[4] Block-Nekkerud, T. (Hrsg.), Die Wikinger, Cappelen Dam AS, Oslo, 14. printing, 2015, S. 9.

[5] Pörtner, R., S. 435.

So auch Haywood, J., Northmen, The Viking Saga 793-1241, Head Zeus, London, 2015, S. 994.

[6] Haywood, J., S. 355.

[7] Pörtner, R., S. 440.

[8] Pringle, H., Clark, R., und D. Guttenfelder, Die Wahrheit über die Wikinger, in: National Geographic, März 2017, S. 38- 59.

[9] Pörtner, R., S. 281.

[10] Pörtner, R., S. 292.

[11] Griffith, P., The Viking Art of War, Greenhill Books, London/Stackpole Books, Mechanicsburg, 1995, S. 57.

[12] Griffith, P., S. 186.

[13] Griffith, P., S. 199.

So auch Pörtner, R., 286/287.

[14] Pörtner, R., S. 282.

[15] Pörtner, R., S. 363-382.

[16] Pörtner, R., S. 395.