Die Europäer haben abgerüstet und den Krieg verlernt
Was ist der Krieg? Carl von Clausewitz (1780-1831), preussischer Kriegstheoretiker, hat in seinem epochalen Werk «Vom Kriege» eine plausible Definition des Krieges vorgestellt, die bis auf den heutigen Tag in vielen militärwissenschaftlichen Publikationen immer wieder zitiert wird:[1]
«Das Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.»
Durch den Einsatz der Gewalt muss der Gegner (Feind) dazu wehrlos werden:[2]
«Wir haben gesagt: den Feind wehrlos zu machen sei das Ziel des kriegerischen Aktes, und wir wollen nun zeigen, dass dies wenigstens in der theoretischen Vorstellung notwendig ist.»
Dieses Ziel, die Wehrlosigkeit des Feindes, die in der Vernichtung seiner Streitkräfte gipfelt, kann aber nur erreicht werden, wenn dem Einsatz der Gewalt keine Grenzen gesetzt werden. Diese Grenzenlosigkeit der Gewalt beschreibt Clausewitz durch drei Wechselwirkungen, die zum Äussersten führen.[3] Diese äusserste Gewalt wird aber durch die Wirklichkeit, die am Ende die Politik bestimmt, gezügelt und eingegrenzt.[4] Aufgrund dieser Eingrenzung stellt Clausewitz seinem theoretischen Modell des Absoluten Krieges den Wirklichen Krieg gegenüber. Der Wirkliche Krieg ist das Ergebnis des Einflusses des politischen Zweckes auf das kriegerische Ziel, das nach wie vor auf die Niederwerfung des Feindes, aber nicht auf seine vollständige Vernichtung ausgerichtet ist.[5] Aufgrund dieser Eingrenzung wird der Wirkliche Krieg zu einem Instrument der Politik:[6]
«Diese Einheit nun ist der Begriff, dass der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, also durchaus nichts Selbständiges.»
Der Führer der russischen Bolschewiken, Wladimir Iljitsch Uljanow (1870-1924), genannt Lenin, hat während seines Aufenthaltes in der Schweiz (1914-17) die Thesen von Clausewitz genau studiert und sie als Grundlage der Militärwissenschaft Russlands bzw. der UdSSR verarbeitet. In dieser Tradition der Kriegsphilosophie von Clausewitz und Lenin bestimmt auch der heutige Herrscher über Russland, Wladimir Putin, den Einsatz seiner Streitkräfte. Der (Wirkliche) Krieg als Mittel der Politik dient ihm für die Ausweitung der russischen Machtstellung in der Welt. Dieser Art des Denkens und Handelns betreffend den Krieg verfolgen in der Gegenwart übrigens auch die anderen Grossmächte, USA und China.
Konsequent befolgt Putin bei seinen Auseinandersetzungen die Lehren von Clausewitz und Lenin. Auch für ihn gilt, dass der Krieg ein Mittel der Politik ist, mit dem der Feind niedergeworfen wird. Dieses Axiom führt Putin beinahe täglich in Syrien durch die Bombardierungen der Gegner des syrischen Diktators Assad mit schweren Jagdbombern Su-34 aus.
Schwerer Jagdbomber Su-34 (NATO Fullback) (Waffenlast 8’000kg)[7]
Schon der sowjetische Diktator Josef Stalin hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Frage gestellt, wieviel Divisionen hat der Papst? Diese Frage muss auch heute bei Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Allianzen gestellt werden. Nach wie vor werden Kriege durch die Zahl an Kampfpanzern, Artilleriegeschützen und Kampfflugzeugen gewonnen. Deshalb wird für Putin die Machpolitik in Europa durch eine einfache Gleichung bestimmt: Wieviel Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Kampfflugzeuge hat die EU? Die Wirklichkeit wird durch diese Zahlen aufgedeckt. Die Abrüstung der Europäer, die 1991 eingesetzt hat, widerspiegelt die strategische Lage in Europa. Die Streitkräfte der Europäer, so insbesondere jene Deutschlands, sind bedeutungslos geworden. Dies wird noch dadurch verschärft, dass die Europäer die Kriegführung verlernt haben. Ihre Abrüstung und ihre kriegerische Unfähigkeit nützt jetzt Wladimir Putin durch Drohungen und Forderungen aus. Durch Angst will er die EU-Staaten zur Kapitulation zwingen.
[1] Clausewitz, von, C., Vom Kriege, Hinterlassenes Werk, Ungekürzter Text nach der Erstauflage (1832-34), Ullstein Materialen, Frankfurt/M – Berlin – Wien, 1980, S. 17.
[2] Clausewitz, von, C., S. 19.
[3] Clausewitz, von, C. S. 20/21.
[4] Clausewitz, von, C., S. 21.
[5] Clausewitz, von, C., S. 662, 671.
[6] Clausewitz, von, C., S. 674.
[7] Müller, Cl., Flugzeuge der Welt 2021, Motorbuch Verlag, Stuttgart, 2021, S. 294/295. Der schwere Jagdbomber Su-34, ausgerüstet mit Freifallbomben, ist zum Hauptmittel der russischen Kriegführung in Syrien geworden.
Titel: Die Europäer haben abgerüstet und den Krieg verlernt
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