Europäische NATO-Staaten: Nachrüstung contra Abrüstung
Mit Ausnahme des Vereinigten Königsreichs und einiger kleiner Staaten wie Estland haben ab 1990 die europäischen NATO-Staaten massiv abgerüstet. Zu diesen gehörte insbesondere Deutschland, dessen Abrüstungsdrang der amerikanische Strategieexperte Anthony H. Cordesman in einer kürzlich veröffentlichten Studie wie folgt kommentiert hat:[1]
«Key members like Germany – countries which have long let their forces decline into near ineffectiveness …”
Die Verteidigungsausgaben von Deutschland in Prozenten des Bruttosozialproduktes (BSP) sind unter der Regierung der Bundeskanzlerin Merkel immer weiter gesenkt worden. 2014 betrugen diese nur noch 1.19 Prozent des BSP. Erst ab 2016 zeichnete sich auf Druck der NATO eine schrittweise Erhöhung des Prozentsatzes ab. Die Senkung der Ausgaben wirkte sich vor allem bei den Beständen an schweren Waffen aus.
1991 verfügte Deutschland noch über einen Bestand von 5’045 Kampfpanzer, 503 Kampfflugzeugen und 14 grossen Kriegsschiffen. Bereits 2014 betrug der Bestand 322 Kampfpanzer, 235 Kampfflugzeuge und 15 Kriegsschiffe. Nach dem Weggang von Merkel sind es 2022 284 Kampfpanzer, 226 Kampfflugzeuge und 11 Kriegsschiffe.[2] Nach dem Abrüstungsdebakel der Regierung Merkel haben die Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Scholz und der Bundestag einen Neuanfang und eine Nachrüstung im Umfang von 100 Milliarden Euro beschlossen.
Zu den europäischen Abrüstungsprotagonisten gehörte auch die Schweiz. Die Ausgaben für die Verteidigung am Bruttosozialprodukt betrugen noch 2021 knapp 0.7 Prozent. Auch der Bestand an schweren Waffen wurde ab 1990 unter bürgerlicher Departementsführung – vier Chefs entstammten der streng bürgerlichen Schweizerischen Volkspartei – massiv heruntergefahren. Noch 1989 verfügte die Schweizer Milizarmee über 860 Kampfpanzer, 2020 waren es nur noch 134 Leopard II.[3] 1989 hatte die Schweiz noch 272 Kampfflugzeuge, 2020 waren es einschliesslich der älteren F-5E/F Tiger II noch 56 Kampfflugzeuge.[4] Der Mannschaftsbestand wurde noch massiver gekürzt. Heute verfügt die Schweizer Milizarmee für die Verteidigung nach einer Mobilmachung nur noch über 30’000 Kombattante. 1989 hatte die Schweizer Armee nach einer Mobilmachung noch einen Bestand von 625’000 Angehörigen.
Eine Nachrüstung wie sie jetzt in Deutschland vorangetrieben wird, ist für die Schweiz nur bedingt in Sicht. Für eine wirksame Nachrüstung, die die Schweizer Armee wieder zur Verteidigung befähigen würde, müsste diese Armee vermutlich unter der Vormundschaft der NATO gestellt werden. Nur unter dem Druck von Brüssel könnte eine Neuorientierung mit der Nachrüstung schwerer Waffen durchgesetzt werden.
Ein Aufbäumen? Panzerschiessen in der Schweiz (A.S.)
[1] Cordesman, A.H., with the assistance of G. Hwang, The Need for a New NATO Force Planning Exercise, CSIS, Washington DC, July 14, 2022, S. 3.
[2] Cordesman, A.H., S. 12.
[3] The Military Balance 2020, The International Institute for Strategic Studies, London, 2020, S. 152.
[4] The Military Balance 2020, S. 152.
Titel: Europäische NATO-Staaten: Nachrüstung contra Abrüstung
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