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Paschtunen – Taliban – pakistanischer Geheimdienst (Inter Services Intelligence)

Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (490/480 v.Chr. – 430/420 v.Chr.) erwähnt in seiner Universalgeschichte ein ostiranisches Volk Pactyan, das in der Provinz Arachosien des Achämeniden Reiches lebte. Denkbar ist, dass dies die ersten Hinweise auf das Volk der Paschtunen sein könnten, die damals im heutigen südlichen Afghanistan und im Suleiman-Gebirge lebten. Im 6. Jahrhundert gab es weitere Hinweise auf diese Bevölkerungen. Denkbar ist, dass die Bewohner dieser Region sich im 6. Jahrhundert mit den Hephthaliten (Weisse Hunnen) vermischten, die während Jahrhunderten den Osten des Irans und den Westen Indiens kontrollierten und 563 von den Sassaniden besiegt wurden. Der Prozess der Vermischung mit anderen Restvölkern dürfte schon in früheren Jahrhunderten eingesetzt haben. Denkbar ist, das vertriebene baktrische Griechen und Kushan den Nukleus der Bergvölker waren

Die Proto-Paschtunen lebten während Jahrhunderten unter der Herrschaft verschiedener Völker. Das erste Reich, dass Paschtunen errichtet haben dürften, war jenes der Ghuriden im Zentrum des heutigen Afghanistans. Das kurzlebige Reich reichte im 12. Jahrhundert bis nach Zentralasien und dem Westen Indiens. Sie sprachen eine iranische Sprache, die nicht Persisch war. Bereits damals dürften die beiden wichtigsten Stammeskonföderationen unter den Paschtunen existiert haben, die Ghilzai im Süden und Osten Afghanistans mit dem Zentrum Kandahar und jene der Abdali im Westen Afghanistans mit Herat als Zentrum.

Die Lodi, ein Klan der Ghilzai-Paschtunen, gründeten das Sultanat von Delhi, das von 1451 bis 1526 dauerte.

Ghilzai-Paschtune aus Kunduz 2007

Der letzte Sultan wurde durch Babur, dem Begründer der Mogul-Dynastie in Indien, besiegt. Unter dem Enkel von Babur versuchten die Paschtunen noch einmal ein Reich in Indien zu errichten, wurden aber erneut vertrieben.

Nun lebten die sunnitischen Ghilzai-Paschtunen mit dem Zentrum Kandahar unter der Herrschaft der Mogul-Kaiser. Die Abdali in Herat gehörten zur Herrschaft der Safawiden, den Herrschern über das Perserreich. Im Gegensatz zu den sunnitischen und kriegerischen Ghilzai konnten sich die Abdali mit der toleranten Herrschaft der schiitischen Safawiden abfinden. Während die Ghilzai bei ihrer Ursprungssprache verblieben, bevorzugten die Abdali das Persische.

Als der safawidische Gouverneur in Kandahar den Versuch unternahm die Paschtunen zum Übertritt zum schiitischen Glauben zu zwingen, rebellierten die Ghilzai-Paschtunen unter der Führung des Stammesführers Mir Wais Hotak (1673-1715) und gründeten eine eigene Dynastie.[1] Sein Sohn Mir Mahmud Hotak (1697-1725) eroberte 1722 Persien und stürzte die Safawiden-Dynastie. An ihrer Stelle erklärte er sich zum Shah über den Iran. Der Neffe von Mir Wais, Ashraf Khan wurde Shah. 1729 besiegte ihn der Turkmene Nadi Qali Beg (1688-1747). Damit war die Hotaki-Dynastie über Persien beendet. Nadir Shah ernannte sich 1737 selbst zum Shah über Persien. Er eroberte in verschiedenen Feldzügen den Kaukasus, Zentralasien, Afghanistan, Bahrain, Pakistan und Oman und gründete dadurch in grosses persisches Reich. Im Feldzug nach Delhi entwendete er den Pfauenthron und den Koo-i-Nor-Diamanten. 1747 wurde er durch unzufriedene Offiziere ermordet.

1747 wurde in Kandahar Ahmad Shah Abdali (1722-1772), ein General von Nadir Shah, durch die Versammlung der paschtunischen Stammesführer als Dur-I-Durrani (Perle der Perlen) zum Herrscher über das Paschtunen-Reich ausgerufen.[2] Die Abdali bezeichneten sich von da an als Durrani. Durch Eroberungsfeldzüge, die nach Indien führten, eroberte er ein grosses Reich, das vom Osten Persiens bis nach Delhi und zum arabischen Meer reichte. In Indien besiegte er die Marathen und erleichterte damit den Briten die Eroberung Indiens. Ihm folgte als Nachfolger sein Sohn Timur Shah. Dieser verlegte die Hauptstadt von Kandahar nach Kabul und erzürnte damit die paschtunischen Stammesführer. Nach dessen Tod zerfiel das Riesenreich durch Bürgerkriege.

Die Briten führten zwei Kriege gegen das verkleinerte Reich von Ahmad Shah, das als Afghanistan (die Perser nannten die Paschtunen Afghanen) bezeichnet wurde. In den beiden Kriegen von 1838-42 und 1878-80 erlitten die Briten Niederlagen. Jede Niederlage löste durch die Briten eine Vergeltung aus. Nach beiden Kriegen zogen sich zurück. Nach 1880 zwangen sie dem Emir von Kabul die Vasallität auf, die durch Zuwendungen erkauft wurde. Mit verschiedenen Verträgen verkleinerten sie das Reich des Emirs. Mit einem neuen Vertrag bestimmte der britische Kolonialbeamte Mortimer Durand 1893 eine Grenze zwischen Britisch-Indien und Afghanistan, die sich über 2670 km erstreckte. Mit dieser ungenauen Grenze wurde das Territorium der Paschtunen in zwei Hälfte aufgeteilt. Die eine Hälfte verblieb unter der Herrschaft des Emirs und die andere Hälfte kam unter britischer Herrschaft. Die Durand-Linie wurde im Friedensvertrag, mit dem der dritte anglo-afghanische Krieg von 1919 beendet wurde, bestätigt. Pakistan, einer der beiden Nachfolgestaaten Britisch-Indiens, beharrt seit 1947/48 auf der Durand-Linie, während viele Paschtunen immer wieder die Rechtmässigkeit dieser Grenzziehung bestritten haben.

Relief der Durand-Linie zwischen Afghanistan und Pakistan

(auf dem Khyber-Pass 1988)

Durand-Linie 1988

Als Folge der andauernden Teilung des Besiedlungsgebietes dürften heute 15 Millionen Paschtunen in Afghanistan und 23 Millionen in Pakistan (Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Beluchistan) leben.[3] Obwohl die Paschtunen in Afghanistan nur 42% der Bevölkerung ausmachen, beanspruchen sie immer noch die Führung des Landes.

Paschtunen in Pakistan 1988

Der Krieg gegen die sowjetische Besatzung von 1979 bis 1989 führte zu zwei Auswirkungen:

  • als Folge der sowjetischen Taktik der verbrannten Erde wurden über 3 Millionen Menschen aus Afghanistan nach Pakistan Der grösste Teil unter stammte aus den paschtunischen Gebieten im Süden und im Osten Afghanistans;
  • kontrolliert und geführt durch den pakistanischen Geheimdienst ISI (Inter Services Intelligence) wurde über die paschtunischen Gebiete in Pakistan der Widerstand in Afghanistan mit Waffen und Nahrungsmittel versorgt.[4] Die paschtunischen Stammesgebiete wurden zu einer Etappe des Krieges gegen die 40. Armee der Sowjetunion. Die Waffen (so chinesischer Herkunft) wurden durch Saudi-Arabien, die USA und den Drogenhandel der paschtunischen Stämme in Pakistan finanziert.

Paschtunischer Ort Kohat in Pakistan 1989

Stammesgebiete in Pakistan 1989

In den pakistanischen Flüchtlingslagern wurden die paschtunischen Knaben in den Religionsschule (Medressen) mit der Lehre der fundamentalen Sekte der Deobandi, die ursprünglich aus Indien stammt, indoktriniert. Gleichzeitig errichteten Mujaheddin-Kommandanten wie die Haqqani aus dem Zadran-Klan der afghanischen Provinz Paktia ihre Kommandozentralen und Stützpunkte. Durch die Vermittlung des pakistanischen Geheimdienste ISI bildeten insbesondere die Haqqani eine Allianz mit Al-Kaida von Osama bin Laden. Gut versorgt mit deren Geld rüsteten und bildeten die Haqqani kriegserprobte Kommandoeinheiten aus. Als das kommunistische Regime 1992 in Kabul zusammenbrach, standen sie für neue Einsätze bereit.

Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft erkannten die pakistanischen Militärs die Gelegenheit mit einer Satellitenregierung in Kabul für Pakistan ein strategisches Hinterland zu bilden, aus dem sie kamperprobte Terroristen wie die Haqqani-Leute für Anschläge in Indien, so in Kaschmir, rekrutieren konnten. Der ISI wurde mit der Bildung der Satellitenregierung beauftragt. 1994 bildete der ISI aus den Durrani-Paschtunen von Kandahar die Taliban. Unter dem Kommando des Deobandi-Mullah Omar (1960-2013?) wurden diese zu willfährigen Kreaturen des ISI. Geführt durch den pakistanischen Geheimdienst eroberten die Taliban 1996 Kabul und später den grössten Teil Afghanistans. Die Ghilzai-Paschtunen schlossen sich den Taliban an. Nur der nordöstliche Teil des Landes konnte durch die Nordallianz unter Führung des legendäre Ahmad Shah Massud das weitere Vordringen der Taliban aufhalten. Zum Zentrum des Widerstandes wurde das Panjshir-Tal, das Massud zu einer Festung ausbaute. Durch einen Anschlag, der bis heute nicht aufgeklärt wurde, wurde Massud am 9. September 2011 ermordet.

Ausgelöst durch den Anschlag vom 11. September 2001 bombardierten die USA ab dem 7. Oktober die Stellungen der Taliban in Afghanistan. Dank dem Einsatz der Nordallianz wurde das Taliban-Regime gestürzt und ihre Truppen vertrieben. Mullah Omar und seine Getreuen flohen nach Quetta in Pakistan. Am 6. Dezember 2001 war die Herrschaft der Taliban über Afghanistan beendet.

Ab 2004 konnten die Taliban, unterstützt durch den ISI in Afghanistan wieder Stützpunkte errichten. Streitkräfte der NATO griffen unter Führung der USA die neu gebildeten Stellungen der Taliban mit Spezialeinheiten, Drohnen und Kampfflugzeugen an. Nach dem dilettantisch geführten Abzug der USA vom August 2021 sind die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht. Im Gegensatz zu 2001 kontrollieren sie nicht nur die durch Paschtunen bevölkerten Gebiete, sondern auch jene anderen Minderheiten. Ihre Führung und ihre Truppen werden nach wie vor durch den pakistanischen Geheimdienst ISI kontrolliert. Das politische und militärische Rückgrat der Taliban sind die erprobten Kampfgruppen der Haqqani. Sirajuddin Haqqani (1973 geboren), Sohn des verstorbenen Gründers des Netzwerkes, Jalaluddin Haqqani, ist zum Innenmister ernannt worden. Während Jahrzehnten führte das Netzwerk vom pakistanischen Nord-Waziristan brutale Anschläge auf die Hauptstadt Kabul aus. Dank dem Netzwerk ist neben dem ISI in Afghanistan auch Al-Kaida wieder an der Macht.

[1] Tanner, St., Afghanistan, A Military History from Alexander the Great to the Fall of the Taliban, Da Capo Press, Cambridge, MA, 2003, S. 114-116.

[2] Brechna, H., Die Geschichte Afghanistans, Das historische Umfeld Afghanistans über 1500 Jahre, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich, 2005, S. 67ff.

[3] Paschtunen, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunen, 07.08.21.

[4] Yusaf, M. and M. Adkin, The Bear Trap, Afghanistan’s Untold Story, Jang Publishers, Lahore, 1992.