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Zukunft der nuklearen Abschreckung?

Die politischen und militärischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion zur Zeit des Kalten Kriegs wurden durch die Abschreckung bestimmt:[1]

«…den Krieg nicht zu führen, sondern ihn zu verhindern, indem man jedem Angreifer Vergeltung androht, die ihm mehr Schaden bringen, als ihm sein Griff zur Gewalt gewinnen kann.»

Entsprechend einer Nutzen-Kosten-Rechnung sollte eine Aggression durch Vergeltungsschläge beim Aggressor zu schweren Verlusten führen. Mit dem Rückgriff auf Nuklearwaffen war im Sinne einer Wechselbeziehung ein gegnerischer Erstschlag auf das eigene Nukleararsenal durch einen Zweitschlag auf die gegnerischen Bevölkerungs- und Industriezentren zu vergelten. Die Glaubwürdigkeit des Zweitschlages und damit der Abschreckung war durch das funktionsfähige Vergeltungspotential mit Nuklearwaffen im interkontinentalen Bereich (land- und seegestützte ballistische Flugkörper, strategische Bomber) bestimmt. Mit dem Zweitschlag war ein bestimmter Zerstörungsgrad zu erreichen. Der US-Verteidigungsminister der 60er Jahre, Robert S. McNamara, definierte 1967 das Vernichtungsziel, das die Abschreckung garantieren sollte, wie folgt:[2]

«…unsere Fähigkeit, einen Angreifer als lebensfähige Nation des zwanzigsten Jahrhunderts zu zerstören, ist es, was die Abschreckung bewirkt, nicht unsere Fähigkeit, den Schaden für uns selbst zum Teil zu begrenzen. Welche Art und welches Mass an Zerstörung wir einem Angreifer zufügen können müssten, um diese Abschreckung zu bewirken, lässt sich nicht exakt sagen. Es erscheint jedoch vernünftig anzunehmen, dass im Falle der Sowjetunion die Vernichtung von sagen wir einem Fünftel bis einem Viertel der Bevölkerung und der Hälfte bis zwei Drittel des Industriepotentials bedeuten würde, dass sie als Grossmacht für viele Jahre ausgeschaltet ist. …»

Die Wechselbeziehung der Vernichtungsandrohung garantierte die Sicherheit beider Mächte. Diese Wechselbeziehung wurde als «Mutual Assured Destruction» (MAD, gegenseitig sichergestellte Vernichtung) bezeichnet. Diese Doktrin blieb nach dem Ende des Kalten Kriegs gültig. Bis heute war MAD auch der Massstab für den Abschluss von Abrüstungsverträgen der interkontinentalen Nuklearwaffen.[3] Die Zukunft dieser Verträge könnte aber angesichts der Politik des US-Präsidenten Donald Trump und des russischen Wladimir Putin fragwürdig werden. Beide sind nicht geneigt die bestehenden Verträge zu erneuern.

Für die Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit ihrer Abschreckungsfähigkeit erneuern zum gegenwärtigen Zeitpunkt sowohl die USA wie auch Russland ihre Arsenale an interkontinentalen Nuklearwaffen. Diesem Erneuerungsprozess hat sich auch China angeschlossen, das sich aber bezüglich von MAD nicht als Partner der beiden anderen Grossmächte betrachtet.

Durch die Entwicklung und die Indienststellung der neuartigen Hyperschallwaffen (Gleit- und Marschflugkörper mit einer Geschwindigkeit von mehr als Mach 5) mit konventionellen und/oder nuklearen Gefechtsköpfen durch Russland, China und die USA könnte MAD allerdings ausgehebelt werden.[4] Aufgrund der Manövrierfähigkeit und der Geschwindigkeit eignen sich diese neuartigen Waffen nicht als Mittel für die MAD-Strategie. Die Hyperschallwaffen könnten sowohl für weitreichende Erstschläge mit konventionellen Gefechtsköpfen oder für Erst- und Zweitschläge (Vergeltungsschläge) mit nuklearen Gefechtsköpfen eingesetzt werden. Die Zukunft von MAD und damit jene der Abschreckung mit Nuklearwaffen interkontinentaler Reichweite durch die Grossmächte ist deshalb mit einem Fragezeichen zu versehen.

 

 

Strategischer Bomber Tu-160 der Russischen Föderation

[1] Legault, A., und G. Lindsey, Dynamik des nuklearen Gleichgewichts, Alfred Metzner Verlag, Frankfurt am Main, 1973, S. 93.

[2] Legault, A., und G. Lindsey, S. 114/115.

[3] Friedman, G., The Enchantment of Mutually Assured Destruction, GPF, October 24, 2019, P. 2/3.

[4] Capaccio, T., Pentagon to Test Bombs to Glide at Five Times the Speed of Sound, in : Bloomberg News, January 26, 2020.