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Kriegertum

Das Wesen eines Kriegers wird durch das Kriegertum versinnbildlicht. Ein Krieger führt als Einzelkämpfer die Kriegsart der Guerilla aus. Stammesgesellschaften setzen, da sie nicht in der Lage sind eine strukturierte bzw. organisierte Armee zu bilden, zur Abschreckung zur Verteidigung die Guerilla als Kriegsart ein.

Mit wenigen Ausnahmen – dazu gehörten vor allem die Irokesen – hatten die Ureinwohner Nordamerikas auch nach der Eroberung durch die Europäer keine organisierten Streitkräfte. Die Kriegführung der Shawnee, Lakota, Apachen und anderer Stämme beruhte auf dem Kriegertum der Einzelkämpfer. Der Krieger bestimmte die Kriegführung der indigenen Völker Nordamerikas. Der Krieger leistete den Schutz seines Stammes. Junge Krieger hatten sich durch mutige Aktionen wie Raub von Pferden und Frauen sowie durch skalpieren auszuzeichnen.[1]

 

Pfeifentomahawk des Shawnee-Häuptlings Tecumseh

 

Ähnlich galt dies vor der Bildung der skandinavischen Staaten durch Könige für die Wikinger. Für die Einzelkämpfer, die den Kern der Wikingerraubzüge ab dem 8. Jahrhundert bildeten, waren die Aussichten auf Beute die Motivation für den Anschluss an kleine Machthaber bei deren Piraterie. In seinem Wesen blieb der Wikinger bis Mitte des 10. Jahrhunderts ein Einzelkämpfer.[2] Die wehrlosen Klöster Englands und des Kontinents versprachen reiche Beute. Die schlanken Schiffe ermöglichten eine Landung an der gegnerischen Küste, das blitzschnelle Zuschlagen, den Raub, das Töten und den schnellen Rückzug. Kostbare Gegenstände und Menschen, die auf den Märkten der Ostsee und in Byzanz und Bagdad als Slaven verkauft wurden, gehörten zur Beute. Erst durch die Einigung skandinavischer Staaten, so Dänemark durch Harald Blauzahn (910-985/87), wurden organisierte Heere mit Kavallerie und Infanterie gebildet. Der organisierte Krieg wurde von da an zum Mittel der Machtpolitik der skandinavischen Könige. Zunehmend wurde der Einzelkämpfer durch Berufskrieger und Söldner abgelöst. Für ihre Kriege rekrutierten die Könige des Nordens auch Krieger der Westslaven.

 

Drache der Stabskirche Borgund, Norwegen: Wikingerschiffe als Vorbild

 

Auch heute noch wird die Kriegführung der Stämme der Paschtunen im östlichen und südlichen Afghanistan sowie im westlichen Pakistan durch ihre Stammeskultur bestimmt. Die paschtunischen Stämme, die schon im Altertum die heutigen Siedlungsgebiete in Afghanistan und Pakistan bewohnten, kämpften und kämpfen in Kriegszeiten gemeinsam gegen äussere Feinde. In Friedenzeiten dagegen waren und sind sie untereinander zerstritten. Streitigkeiten werden sogar innerhalb von Familien ausgetragen. Diese Auseinandersetzungen können am Ende auch zur Auslöschung ganzer Familien führen.

Der in diesen Auseinandersetzungen verfolgte Kodex ist das Stammesrecht der Paschtunen, das Paschtunwali. Das Paschtunwali beinhaltet verschiedene Elemente, so taboorwali, nang, tor, badal, melmastia und nanawatee.[3] Wichtig sind im Paschtunwali taboorwali und tor. Taboorwali bestimmt die Rivalität in der väterlichen Verwandtschaft, die sich über Generationen erstrecken kann. Die Auslösung einer Fehde erfolgt durch die Verletzung der persönlichen Ehre, nang. Die Verletzung der Ehre ist tor, das mit Schwarz übersetzt werden kann. Tor wird durch die Kompromittierung der Keusch- und Reinheit einer Frau bestimmt. Dieses schwerwiegende Verbrechen wird durch badal, die Rache geahndet. Badal und damit die Ermordung des oder der Schuldigen kann über Generationen erfolgen. Ein Paschtune wird während Tagen, Wochen oder Monaten im Hinterhalt mit seiner Waffe für den tödlichen Schuss lauern. Nur wer eine Waffe besitzt und sie auch führen kann, gilt in der Welt der Nang-Paschtunen als Mann. Der junge Paschtune erhält als Zeichen der Männerinitiation von seinem Vater sein erstes Gewehr.

 

Junger Paschtune in Afghanistan 1989

 

Sollten eines Tages die Industriestaaten aufgrund interner Spannungen zerfallen, dann dürfte dies auch zum Zerfall ihre organisierten Streitkräfte führen. Am Ende dürfte der Krieger als Einzelkämpfer in der Kriegführung wieder obsiegen.

[1] Bancroft-Hunt, N., Warriors. Warfare and the native American Indian, Salamander Book, London, 1995, S, 42, 65, 93, 95, 96, 98, 105, 119, 121, 127, 129.

[2] Toplak, M.S. (Hrsg.), Die Wikinger, Seeräuber und Krieger im Lichte der Archäologie, wbg, Theiss, 2021, 29-58.

[3] Stahel, A.A., Das Frontier Corps, Ein paramilitärischer Verband von Pakistan in den Tribal Areas, in: Buciak, S. und R. von Dehn (Hrsg.), Indien und Pakistan – Atommächte im Spannungsfeld regionaler und globaler Veränderungen, Verlag Dr. Köster, Berlin, 2010, S. 485-512.